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Bettina Kost

Analyse der zugewandten Konfrontation in der Beratungsarbeit als Sexualpädagogin


Inhalt






1. Fallskizze

Guten Abend. - Schön das ich sie erreiche. - Ich bin froh, dass ich mit einer Frau spreche. „Wie kann ich ihnen helfen?” - Ich habe ein Problem. - Wissen Sie, ich bin Priester. - Es ist für mich sehr schwer, bei Ihnen anzurufen. „Warum?” Ich bin ein katholischer Geistlicher. - Ich bin erst vor kurzem ins Ruhrgebiet versetzt worden und ich kann bei meinem Kollegen nicht beichten gehen. „Warum nicht?” - Ich schäme mich. - „Was ist denn passiert?” Ich habe eine Haushälterin. - Sie wissen ja, wie das ist. Ich habe sie von meinem Vorgänger übernommen. - Sie ist sehr nett und - ich habe sie heimlich beobachtet. -  „Warum haben sie Ihre Haushälterin beobachtet?” - Sie gefällt mir. - Ich bin auch nur ein Mann - Sie kennen ja das Zölibat. - Ich konnte nichts tun. - „Was ist denn passiert?” Ich habe sie erst heimlich bei der Hausarbeit beobachtet. - Sie hat nichts gemerkt. -  Ich konnte nicht anders. - Ich musste immer öfter hin-terschleichen. - Ich hatte Angst, dass sie etwas merkt. - Und dann hat sie mich dabei erwischt - Aber es war ihr nicht unangenehm. - Sie hat mich nur nett angelächelt. - Dann habe ich an-gefangen durch das Schlüsselloch zu gucken. - Ich sah, wie sie sich bückte - und dann habe ich hinter ihr gestanden und - ich hab ihr dann - Sie wissen ja was. „Ich holte innerlich tief Luft und wollte ihn fragen, ob er mit der Haushälterin darüber gesprochen habe und wie es jetzt weitergehen sollte”, aber der Anrufer hatte aufgelegt.






2. Reflektion des Gesprächs



2a) Meine Gefühle während und nach dem Gespräch

Der Klient hatte eine ruhige und ausgeglichene Stimme. Ich schätzte ihn auf ca. 53 - 55 Jahre. Auffallend war, dass er nach jedem Satz eine kurze Pause setzte. Nachdem das Gespräch so abrupt beendet wurde, dachte ich erst, er hätte nicht mehr weiterreden können, da jemand zuhörte und er würde sich vielleicht später noch einmal melden. Ich fühlte in mir eine Leere und gleichzeitig hatte ich einen diffusen Druck in der Magengegend. Ich hatte mich während des ganzen Gespräches immer wieder gefragt, ob er masturbiert oder nicht. Auch hatte ich nicht ruhig am Schreibtisch sitzen können und nahm während des Gespräches (ca. 25 Minuten) mehrmals verdrehte Haltungen an. Ich musste mir eingestehen, dass ich mich die ganze Zeit nicht wohlgefühlt habe. Dabei hatte ich den Klienten ernst genommen. Je länger das Gespräch zurücklag, desto wütender wurde ich auf den Anrufer. Ich fühlte mich von ihm missbraucht und beschmutzt.
Das Einbringen des Falles in meine Supervisionsgruppe brachte für mich keine vollständige Klarheit. Das Fortbildungsangebot über das Thema „Sexualität und Sprache”, das von Frau Gerlach, Wildwasser Dortmund, angeboten wurde , (ein Wochenende, ca. 9 Monate nach dem Gespräch) brachte für mich sehr gute Ansätze zur Bewältigung des Gespräches, was ich in meiner Abschlussarbeit als Sexualpädagogin noch weiter vertiefen und analysieren werde. Das Gespräch liegt nun ca. 2 ½ Jahre zurück.



2b) Wie das Gespräch gelaufen ist

Ich war nicht Leiterin des Settings. Ich habe viel zu lange zugehört. Informationen sind nur insoweit wichtig, wie es zur Erhellung des Falls nötigt sind. Ich wurde vom Anrufer von Schauplatz zu Schauplatz geführt und wurde dadurch zum Voyeur. (Voyeurismus ist ein wichtiger Bestandteil der sexuellen Erregung in dem Sinne, dass zur sexueller Intimität immer ein Element von Privatheit und Heimlichkeit dazugehört.) Funktional hat der Klient seine Sexualität und Aggression zur narzisstischen und libidinösen Befriedung seiner Identität genutzt. Das „sexuelle” war eine Verfügung und triebhaft. Ich hatte mit dem Anrufer keine Beziehung aufgebaut sondern hatte mit ihm Sex. Da „keine” Beziehung aufgebaut wurde, war es kein liebevoller Sex, denn Sexualität ohne Beziehung ist Pornographie. Sie war aggressiv, scham- und machtbesetzt. Ich habe mich vom Klienten nicht genügend abgegrenzt und hatte ihm keinen Glauben geschenkt (habe mir das aber nicht offen eingestanden), daher nahm ich verdrehte Haltungen ein. Ich nahm diese Gegenübertragung nicht wahr sondern ließ mich vom Anrufer sexuell verbal missbrauchen. Meine Aggressionen konnte ich nicht angemessen verarbeiten. Ich schämte mich dafür, das mir so etwas passiert war und dass ich mich nicht hätte besser schützen können.

Es stellen sich mir folgende Fragen: Wie klar bin ich? Welche Werte, Normen und Moralvorstellungen habe ich? Wer bin ich überhaupt? Wie hätte ich intervenieren müssen? Was bedeutet das für mich, so ein Gespräch zu führen? Ist es wichtig für mich zu wissen, ob die Geschichte stimmt?



2c) Analyse meiner Werte, Normen und Moralvorstellungen

In der Entwicklung von Kindern spielt die Identifikation, bezogen auf den Vorgang der Identifizierung, eine wichtige Rolle. Es ist für die Entwicklung des Kindes wichtig, sich aus der anfänglichen Identifikation mit ihren Eltern zu lösen, um eine eigenen Identität zu entwickeln. Jeder Erziehungsvorgang, vor allem gegenüber dem Kleinkind, ist von Zwang unterstützt. Wird in einem solchen Erziehungsprozess die Eigenständigkeit des Kindes nicht respektiert, in seiner je eigenen Art den Zwang in Freiwilligkeit zu überführen, kann dies sowohl zu gegenläufigem, jede Norm ablehnendem, als auch zu hochgradig autoritätsabhängigem Verhalten führen. Meine Eltern legten sehr großen Wert darauf, mich im Sinne der Kirche „katholisch” zu erziehen. Ich war ein paar Jahre als Jugendliche in der Kirche ehrenamtlich tätig. Allerdings entschloss ich mich aus persönlichen Gründen dazu, als Erwachsene mich der Kirche zu erziehen, da ich mich nicht mehr mit der Kirche identifizieren konnte. Daraus ergab sich ein Konflikt mit meinen Eltern, dem mein schlechtes Gewissen (Über-Ich) gegenüberstand, weil ich mich nicht mehr diesem Wertesystem unterwerfen wollte. Dahingehend konnte ich den Priester verstehen, der mit der Einhaltung des Zölibates einen Konflikt hatte, der ihn in den Grundfesten seiner Identität erschütterte. Sexualität gehört zu den Grundtrieben des Menschen, ein Potential für ein kreatives und lustvolles Leben. Ohne die Lebensenergie der Sexualität sowie der damit verbundenen Aggression ist Fortpflanzung nicht möglich. Sexualität bedeutet eine Begegnung mit einem anderen Individuum. Sie fängt im Kopf an und wird durch die Phantasie genährt. Sie ist immer, bewusst oder unbewusst in unseren Interaktionen vorhanden. Noch heute werden Frauen in der Gesellschaft hauptsächlich als Prostituierte und Vergewaltigungsopfer gezeigt. Es fehlt somit eine positive Darstellung weiblicher Sexualität. Dies hat zur Konsequenz, dass Frauen positive Modelle zur Entdeckung der eigenen Sexualität fehlen und sie es dadurch schwer haben, einen Zugang zu ihrer eigenen Sexualität zu finden. Der positive Zugang ist aber eine wichtige Voraussetzung, um sich selber als sexuelles Wesen akzeptieren zu können. Durch die fehlende Akzeptanz ihrer Sexualität muss diese tendenziell verdrängt und abgespalten werden. Dies bedeutet für viele Frauen, dass ihre Sexualität für sie nicht bewusst und zugänglich ist. Sexualität ist aber ein wesentlicher Baustein der eigenen Identität. In meiner Ausbildung zur Sexualpädagogin habe ich mich mit meiner Sexualität sowie mit meiner Haltung (Werte und Normen) auseinander gesetzt. Ich hatte vorher kein adäquates Selbstbild von meiner Sexualität und wusste nicht, wie ich mich als „Frau” gegenüber dem Klienten verhalten sollte.



2d) Institution

Ich arbeite seit nunmehr sieben Jahren ehrenamtlich in einer kirchlichen Institution, obwohl ich aus der Kirche ausgetreten bin. Bevor ich den Dienst begann, habe ich eine einjährige Ausbildung absolviert. Trotzdem hatte ich bei dem Gespräch ein schlechtes Gewissen, weil ich das Gefühl hatte, über ein Tabuthema zu sprechen. Es hat bei mir Schuldgefühle, Scham und Verlegenheit ausgelöst, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte.



2e) Machtstrukturen

Im gesellschaftlichen Leben spielt Macht eine zentrale Rolle. Jede Machtbeziehung basiert auf einem Rest von Zwang. In unserem Leben sind wir einer Vielzahl von institutionellen Regelungen in Formen von Gesetzen und Richtlinien, Arbeitsaufgaben, Rollen- und Verhaltensanforderungen unterworfen. Somit ist Macht ein Bestandteil jeder sozialen Beziehung. Priester besitzen in unserer Gesellschaft ein hohes soziales Ansehen. Ihnen wird als Führungspersönlichkeit Autorität und somit „Macht” automatisch zugeschrieben. Auf der Ebene der Sexualität kommt hinzu, dass trotz aller Effekte emanzipatorischer Bestrebungen Männer ihre Sexualität nach wie vor als triebhaft unkontrollierbar definieren dürfen, während Frauen ihre Sexualität weiterhin in Abhängigkeit vom anderen und eher reaktiv definieren (sollen) - bis hin zur Selbstverleugnung und Identifikation mit dem Aggressor. Es gibt immer wieder die Festschreibungen der Verführungstheorie und infolgedessen der Schuld der Frau an der Auslösung der „natürlichen” Triebdurchbrüche des Mannes, statt von Grenzverletzung, sexueller Ausbeutung und von Gewalt zu reden. Männer lernen schon als Jungen, über Frauen, über weibliche Körper zu verfügen und sie nach ihren Bedürfnissen zu formen. Frauen lernen, sich anzupassen und den Mann wichtiger zu nehmen als sich selbst. Zum sexuellen Missbrauch gehören alle Formen körperlicher und nonverbaler wie verbaler Grenzüberschreitungen deren Medium Sexualität ist. Beim Missbrauch wird man zum Objekt gemacht. Es hat nichts persönliches. Denn es geht weder um Lust, noch um Liebe, noch um Beziehung. Es geht um Machtmissbrauch, Kontrolle, Grenzverletzung, Würdelosigkeit und Gewalt. In den ersten Minuten des Gespräches hatte ich das Gefühl gegenüber dem Klienten Macht zu haben, weil er sich mir anvertraute. Allerdings habe ich an der Gestaltung meiner Machtposition, sie zu haben und sie in dem Gespräch zu nutzen, kein Gebrauch gemacht. Ich habe sie abgespaltet und sie dem Priester zugeschrieben. Ich habe mir nicht zugestanden, Macht zu haben und sie offen zu nutzen. Macht zu besitzen ist nichts schlechtes und gehört zur Identität (als Frau) dazu. Ich darf sie haben.

2f) Aggression

Eine Voraussetzung, seine eigene Sexualität akzeptieren zu können, ist der positive, direkte Zugang zur eigenen Aggression. Fehlt Aggression oder wird diese abgespalten oder verdrängt, fehlt ein wichtiger Bestandteil, um sich selbst zu definieren. Das Erkennen der eigenen Aggression und deren Hinzunahme ins bewusste Erleben ist ein wichtiger Schritt, verantwortlich mit dieser Gewalt umzugehen. Noch heute werden in der Gesellschaft (in der Erziehung) Mädchen nicht ermutigt, aggressiv zu sein. Sie müssen lieb, artig und folgsam sein. Jungen dürfen ihre Aggressivität ausleben. Das hat zur Folge, dass erst viel später Frauen lernen, mit ihrer Aggressivität angemessen umzugehen. Grenzen zu setzen ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der eigenen Identität. Fehlt diese Fähigkeit, ist ein Mensch gegen Übergriffe nicht genügend geschützt.




3. Analyse der zugewandten Konfrontation



3a) Was ist zugewandte Konfrontation

Die zugewandte Konfrontation ist nicht nur eine Technik. Sie erfordert viel Einfühlungsvermögen seitens des Berater sowie die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren, um Eigenanteile im Beratungsgespräch sichtbar zu machen. Es ist daher wichtig, anhand der Realitätsprüfung sich selbst sowie der des Klienten sowie die Gegenübertragung sichtbar zu machen. Genutzt wird die zugewandte Konfrontation über das Medium des strukturellen Interviews. Die Methode des Interviews stellt eine unmittelbare Verbindung zwischen der Psychopathologie des Klienten und der Indikation zur psychotherapeutischen Behandlung her. Dieses Interview konzentriert sich auf die Symptome, Konflikte oder Schwierigkeiten und Widerstände, die der Klient zeigt, und auf die besonderen Formen, in denen er sie in der Interaktion mit dem Berater im „Hier und Jetzt” reflektiert. Es wird angenommen, dass die Konzentration des Berater auf die Hauptkonflikte des Klienten genug Spannung hervorruft, um die vorherrschende Abwehr- und Struktur-Organisation seines psychischen Funktionierens ans Licht zu bringen.



3b) Meine Haltung gegenüber dem Klienten
  • Dem Klienten Informationen und Aufklärung über den Therapieprozess, Transparenz der Interventionen und Methoden geben.
  • Mit selektiver Offenheit und gut abgegrenzte Empathie zu begegnen. Nur über Vertrauen kann Beziehungsarbeit geleistet werden.
  • Immer wieder die „Beraterische Beziehung” zum Thema zu machen und zu klären, Grenzen aufzuzeigen und dabei zu verdeutlichen, dass der Klient unabhängig von kindlichen Verhaltensweisen im Rahmen der Übertragungsbeziehung ein erwachsenes, ernstzunehmendes Gegenüber ist. Es darf während der Therapie nicht zum Beziehungsabbruch kommen!
  • Unterschiedlichkeit (etwa in der Wahrnehmung oder Interpretation einer Interaktion) und Eigenständigkeit des Klienten deutlich zu machen.
  • Den Klienten zum Widerspruch und Widerstand zu ermuntern und ehrlich darauf zu reagieren. Die ausgelösten Aggressionen muss der Klient aushalten.


3c) Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden

Es muss mit dem Klienten eine Beraterische Beziehung eingegangen werden. Sie ist ein Prozess direkter und ganzheitlicher Begegnung und Auseinandersetzung zwischen zwei Menschen auf der Körper-, Gefühls- und Vernunftebene. Voraussetzung ist die wechselseitige Anerkennung der Integrität. Es geht um ein Sich-In-Beziehung-Setzen durch Begegnung und Auseinandersetzung, wobei die Haltung des Berater durch Offenheit bestimmt sein sollte. Es ist ein Arbeitsbündnis, in dem der Berater sich verpflichtet, Hilfesuchende mittels fachlicher und persönlicher Kompetenz darin zu unterstützen, sich mehr verstehen und akzeptieren zu lernen und die psychische und soziale Lebensqualität zu verbessern. Dabei geht er auch die Verpflichtung ein, sich seinen eigenen emotionalen oder sexuellen Wünsche zurückzustellen und die Entwicklung des Klienten zu fördern und ihre Würde zu achten. In diesem Sinne übernimmt der Berater die Rolle einer fürsorglichen und uneigennützigen Elternfigur, während sich der Klient von Anfang in einer Rolle eines Kindes befindet: Das Machtgefälle ergibt sich des weiteren aus der Tatsache, dass der Berater über fachliches Wissen verfügt und er das Interpretations- und Deutungsmonopol innehat. Er ist es, der das Geschehen kontrolliert und trägt die volle Verantwortung. In ständigem Bezug zueinander werden wechselseitig Gefühle, Gedanken und Verhalten beeinflusst, einmal direkt und zum anderen im Sinne von Übertragung- und Gegenübertragung.



3d) Das strukturelle Interview als diagnostische Methode

1. Klärung

Klärung bezieht sich auf die gemeinsam mit dem Klienten unternommene Erforschung all derjenigen Elemente seiner Informationen, die vage, unklar, verwirrend, widersprüchlich oder unvollständig sind. Das, was der Patient sagt, wird diskutiert, ohne das etwas in Frage gestellt wird. Auf diese Weise werden alle Aussagen des Klienten ans Licht gebracht und das Ausmaß seines Verständnisses oder seiner Verwirrung im Hinblick auf das, was unklar bleibt, wird bloßgelegt. Der Zweck der Klärung ist es, bewusstes und unbewusstes Material an die Oberfläche zu bringen, ohne den Patienten zu provozieren.

Der Verlauf des strukturellen Interviews
Es ist nützlich, das strukturelle Interview mit mehreren Fragen zu beginnen (direkten oder indirekten), die man dem Klienten als Sequenz vorlegt. Eine typische Initialfrage könnte etwa so aussehen: „Es interessiert mich zu wissen, warum Sie mich anrufen und worin Ihre Schwierigkeiten oder Probleme bestehen und was Sie von mir erwarten.” Es kann auch vorkommen, dass Klienten in ihren Antworten auf diese Fragen extrem konkret, vage, verwirrt oder ausweichend sind. Es ist nützlich, nachzufragen, ob der Klient meint, dass die Fragen nicht deutlich genug waren oder ihn vielleicht überwältigen. Wenn der Klient zugibt, dass er Schwierigkeiten hat, dem Berater zu folgen oder ihn zu verstehen, sollte dieser die Fragen in etwas anderer Formulierung wiederholen. Dann sollte er herauszufinden versuchen, welcher Art die Schwierigkeit ist.

Die Initialphase
Die erste Frage könnte folgendermaßen formuliert werden: „Sie haben mir von Ihren Schwierigkeiten erzählt, jetzt würde ich gern mehr über Sie selbst als Person hören. Können Sie sich beschreiben, Ihre Persönlichkeit, das, was ich Ihrer Meinung nach wissen sollte, um ein wirkliches Gefühl für Sie als Mensch zu bekommen?” Diese Frage bedeutet eine neue Herausforderung, eine tiefere Ebene der Befragung, die, unter optimalen Umständen, beim Patienten eine Stimmung der Selbstreflektion hervorrufen kann. Er kann dann Gefühle in bezug auf sich selbst und auf die wichtigen Bereiche seines Lebens (Studium oder Beruf, Familie, soziales Leben, Sexualität, kulturelle und politische Interessen, Freizeit) beschreiben und vor allem die für ihn wichtigsten Beziehungen zu bedeutsamen anderen Menschen. Kann der Klient spontan solche Informationen über sich selbst geben, dann gibt er damit einen Hinweis auf eine gute Realitätsprüfung. Kann ein Klient die Beantwortung dieser direkteren Fragen nicht vornehmen, dann ist dies ein Hinweis auf eine schwere Charakterpathologie. Es ist aber auch möglich, dass der Klient nicht aufgrund seiner Persönlichkeit, sondern aufgrund seines kulturellen Hintergrunds, die Fragen nur sehr schwer beantworten kann. Der Berater könnte dann nachfragen und den Klienten dazu ermutigen, indem er nachfragt, ob der Klient eine allgemeine Abneigung gegen das Gespräch hat, oder ob er nicht wisse, wer er ist, oder wie seine Beziehung der zu ihn umgebenden Welt und zu anderen Menschen aussehen.

Die mittlere Phase des strukturellen Interviews
Die Fragen sollten sich jetzt mit den Schwierigkeiten beschäftigen, die der Klient mit den zwischenmenschlichen Beziehungen und mit der Anpassung an seine Umgebung hat sowie mit seinen intrapsychischen Bedürfnissen. Eine allgemeine Frage dazu könnte lauten: „Ich würde nun gern etwas mehr über Sie als Person hören, über die Art und Weise, wie Sie sich selbst erfahren, wie Sie denken, dass es mir helfen könnte, mir innerhalb unserer Zeit ein genaueres Bild von ihnen zu machen. Wenn der Klient jetzt Informationen liefert, die der Berater in seiner Vorstellung nicht zu einem Ganzen zusammensetzen kann, insbesondere widersprüchliche Daten, die nicht zu dem inneren Bild passen, das er sich allmählich vom Klienten formt, ist ein taktvolles Erforschen solcher potentiellen oder offensichtlichen Widersprüche angezeigt. Es ist das Ziel des Berater zu beurteilen, wie weit widersprüchliche Selbstvorstellungen vorhanden sind oder wie weit der Klient ein stabiles, gut integriertes Selbstkonzept präsentiert. Die nächste Frage beschäftigt sich mit bedeutsamen anderen Menschen im Leben des Klienten. Wenn der Berater erst einmal für sich selbst vorsichtig die Frage beantwortet hat, wie weit das Selbstkonzept des Klienten integriert ist, kann er untersuchen, wie weit er Konzepte von bedeutsamen anderen Menschen integriert hat. Hier könnte die Leitfrage sein: „Ich möchte Sie bitten, mir etwas über die Menschen zu erzählen, die im Augenblick in Ihrem Leben die wichtigsten sind. Könnten Sie mir etwas über sie erzählen, so dass ich mir einen klaren Eindruck von ihnen machen kann. Ziel dieser Befragung ist es, taktvoll einen Grad der Integration von Objektvorstellungen oder dem Mangel an Integration zu untersuchen.

Die Endphase des strukturellen Interviews
Der Berater sollte in der Endphase des strukturellen Interviews den Klienten fragen, ob er noch zusätzliche Informationen über Probleme geben möchte, von denen er meint, dass sie für das Gespräch wichtig seien. Diese Nachfrage kann manchmal zu wichtigen neuen Information oder zu weiteren Überlegungen im Hinblick auf Bereiche führen, die man bereits untersucht hat. Außerdem gibt man dem Klienten die Gelegenheit, über Ängste zu sprechen, die während des Interviews aktiviert worden sind. Sie können jetzt ausführlicher untersucht und dadurch reduziert werden.



2. Konfrontation

Der zweite Schritt im Verlauf des Interviews zeigt dem Klienten, inwieweit seine Informationen widersprüchlich und nicht übereinstimmend mit seinem Verhalten sind. Konfrontation bedeutet, dem Klienten auf diese Aspekte der Interaktion hinzuweisen, die konflikthaftes Verhalten und darin einbezogen, Abwehrvorgänge, widersprüchliche Selbstwahrnehmung sowie ein vermindertes Realitätsbewusstsein anzuzeigen scheinen. Zunächst wird dem Klienten etwas in dem Gespräch aufmerksam gemacht, das ihm nicht bewusst war oder das er für ganz natürlich gehalten hat, das dem Berater jedoch als unangemessen, im Widerspruch zu anderen Aspekten und Informationen stehend oder verwirrend erkennt. Konfrontation erfordert das Zusammenfügen von bewussten und vorbewussten Material, das der Klient getrennt berichtet oder erfahren hat. Vom Berater wird eine Hypothese aufgestellt, mit der er den Klienten konfrontiert. Die gibt er als Frage an den Klienten zurück indem er ihn z. B. fragt: „Was halten Sie davon.” Oder „Was denken Sie darüber?” Der Klient muss sich an der aufgestellten Hypothese abarbeiten. Der Berater stellt auch die Frage nach der möglichen Bedeutung dieses Verhaltens für das gegenwärtige Funktionieren des Klienten. So werden dessen Fähigkeit, die Dinge ohne weitere Regression anders zu sehen, die inneren Beziehungen zwischen den verschiedenen, zusammengefügten Problemen und besonders die Interaktion des Selbstkonzeptes und des Konzeptes von anderen erforscht. Auch die Zunahme oder Abnahme des Realitätsbewusstseins, die sich in der Reaktion des Klienten auf die Konfrontation reflektieren, und seine vorhandene Empathie mit dem Berater als Reflexion seines sozialen Bewusstseins und seiner Realitätsprüfung werden so beleuchtet. Schließlich stellt der Berater einen Zusammenhang her zwischen den Aspekten der Interaktion im „Hier und Jetzt” und ähnlichen Problemen in anderen Bereichen und verbindet so bestehende Probleme und Beschwerden mit strukturellen Persönlichkeitsbezügen. Die so definierte Konfrontation erfordert Akt und Geduld. Diese Konfrontation beabsichtigt weder ein aggressives Eindringen in die Psyche des Patienten noch eine Polarisierung der Beziehung zu ihm. Wichtig dabei ist, dass ich mich mit dem Klienten identifizieren muss, sonst kann ich ihn nicht konfrontieren. Identifikation ist nur über das konfrontieren möglich. Die Haltung des Berater muss klar sein (er muss sich seiner eigenen Identität, Ausarbeitung 2c - 2f,  bewusst sein), d. h., wenn ich eine Haltung habe, dann bin ich klar. Auch muss noch gesagt werden, dass der Berater nicht seine „eigenen Ansichten, Werte und Normen” dem Klienten überstülpen darf. Er versteht sich in diesem Zusammenhang als Wegbegleiter, der dem Klienten hilft, sich selbst besser zu verstehen.



3. Interpretation

Interpretation verbindet im Gegensatz zur Konfrontation bewusstes und unbewusstes Verhalten mit vorausgesetzten oder hypothetisch angenommenen unbewussten Funktionen oder Motivationen im „Hier und Jetzt”. Der Klient muss sich an meiner Interpretation abarbeiten. Sie erforscht die Konflikt haften Ursprünge der Trennung von dem im Bewusstsein zusammenhängenden Verhalten von Ich-Zuständen (gespaltene Selbst- und Objektvorstellungen), die Natur und die Motive der aktivierten Abwehrmanöver und die der Abwehr dienende Preisgabe der Realitätsprüfung . Mit anderen Worten, die Interpretation richtet sich auf die aktivierten zugrundeliegenden Ängste und Konflikte. Die Interpretation fügt zusammen und reorganisiert, was man beobachtet hat. Die Interpretation erweitert die Informationen um eine hypothetisch angenommene Dimension von Kausalität und Tiefe. In der Interpretation verbindet der Berater die gegenwärtigen Funktionen eines spezifischen Verhaltens mit den zugrundeliegenden Ängsten, Motiven und Konflikten des Klienten, wodurch er zugleich die allgemeinen Schwierigkeiten klärt, die über die gegenwärtige Interaktion hinausgehen. Es ist zum Beispiel eine Konfrontation, wenn man den Klienten darauf hinweist, dass sein Verhalten Misstrauen auszudrücken scheint, und er untersucht, wie weit er sich dieses Verhaltensmusters bewusst ist. Es ist eine Interpretation, wenn man an den Klienten heranträgt, dass misstrauische Verhalten oder die Angst des Klienten gingen darauf zurück, dass er dem Berater etwas Schlechtes zuschreibt, von dem er sich in seinem eigenen Innern zu befreien sucht (was dem Klienten vorher nicht bewusst war).



4. Übertragung und Gegenübertragung

Übertragung ist ein Prozess, in dem der Klient frühere Beziehungserfahrungen, Gefühle, Szenen und Rollen in der aktuellen Beraterischen Situation neu inszeniert. Die Phänomene der Übertragung und Gegenübertragung treten nicht zufällig auf, sondern werden vom Berater gefördert. Auf diese Weise sollen biographisch ältere psychische Strukturen zutage treten und die damit verbundenen Gefühle und Handlungstendenzen wieder bzw. neu durchlebt werden, so dass eine Unterscheidung zwischen früher und heute möglich wird und auf dem aktuellen Entwicklungsstand neue Lösungsstrategien entwickelt werden können. Die Verantwortung des Berater liegt darin, die Übertragungsphänomene fachkompetent zu handhaben, in den alten Szenen nicht zum unbewussten Mitspieler zu werden, die Grenzen des Klienten zu respektieren, seine eigenen Gefühle, auch die von Machlust, entstehender Verliebtheit oder sexueller Wünsche seinerseits, zu verarbeiten und nicht auszuagieren. Der Klient hat das Recht, seine Gefühle frei und unzensiert zu äußern und alte Szenen agierend wiederherzustellen, möglicherweise auch zu versuchen, den Berater zu verführen.



3e) Abwehr-, Projektionen-, und Spaltungsmechanismen

Projektionen sind nach S. Freud einer der von ihm beschriebenen Abwehrmechanismen, in dem eigene Bedürfnisse oder Gedanken der Außenwelt (Personen, Objekten) zugeschrieben werden. Eigene Bedürfnisse oder Gedanken werden von der Person abgespalten, sie gehören nicht zu seiner Identität. Diese Interaktionen werden nicht bewusst wahrgenommen, sie laufen unbewusst ab. Sie werden mit Hilfe des strukturellen Interviews in einem Beratungsgespräch 1. geklärt, 2. konfrontiert, 3. interpretiert, wobei die Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene vom Berater entsprechend reflektiert und bewertet werden müssen.



3f) Realitätsprüfung

Die Realitätsprüfung definiert sich durch die Fähigkeit, das Selbst vom Nicht-Selbst und intrapsychische Wahrnehmungen und Reize von solchen äußeren Ursprungs zu unterscheiden, und die Fähigkeit, eigenen Affekt, eigenes Verhalten und den eigenen Gedankeninhalt im Hinblick auf übliche soziale Normen realistisch einzuschätzen. Klinisch kann man die Realitätsprüfung erkennen aufgrund 1. des Fehlens von Halluzinationen und Wahnideen, 2. des Fehlens grob unangemessenen oder bizarren Affektes, Gedankeninhalts oder Verhaltens, die andere im Hinblick auf Aspekte der Affekte, des Verhaltens oder des Gedankeninhalts des Klienten machen, die im Kontext gewöhnlicher sozialer Interaktionen unangemessen oder verwirrend erscheinen und der Fähigkeit, diese Beobachtungen zu klären. Man muss unterscheiden zwischen Realitätsprüfung und Veränderungen in der subjektiven Erfahrung der Realität, die zuzeiten bei jedem Klienten mit psychischen Problemen auftreten können und der Veränderung der Beziehung zur Realität, die zu jeder Charakterpathologie, ebenso wie zu schwereren regressiven psychotischen Zuständen gehört. Die Realitätsprüfung an sich ist nur in sehr extremen Formen von diagnostischem Wert.



3g) Grenzverletzungen

Als Sexualpädagogin bedeutet dies unter Hinzuziehung der Aggression und der darin verbundenen Gewalt, das sexuelle Grenzen gesehen werden müssen und nicht die Gefahr aufkommen darf, sich vor anderen als Fachexperte zu entblößen oder aber andere zu entblößen. Wenn in der Nähe eines nährenden, sorgenden und klärenden Beraterischen Kontaktes die Grenzen des Klienten ungewollt überschritten werden, ist es daher sinnvoll, dies in der vertrauensvollen beraterischen Beziehung zu besprechen, so dass der Klient sich weiter in seinen Grenzen respektiert fühlt. Ich möchte auch erwähnen, dass der Berater sich selbst (seine Eigenmotive zur Tätigkeit als Berater) reflektieren muss, um auszuschließen, dass es zum Missbrauch an den Klienten kommt. Damit meine ich, dass er den Klienten nicht, um seine narzisstischen Bedürfnisse zu befriedigen, „nicht” missbrauchen darf.  An dieser Stelle wird deutlich, dass das Themengebiet Sexualität und Gewalt bei der Arbeit als Sexualpädagogin immer einen Zusammenhang darstellt. Auch muss noch erwähnt werden, dass der Berater, sich in dem Gespräch angemessen zu Begrenzen und Abzugrenzen hat!



3h) Supervision

Supervision gehört als Muss zur Arbeit von Teams und ist oft eine Verpflichtung in der psychotherapeutischen Ausbildung. Auch für die Arbeit erfahrener Psychotherapeut  wird Supervision als unabdingbar angesehen. Supervision wird als Beratungsform bezeichnet, deren übergeordnetes Ziel eine systematische Reflexion zur Verbesserung der beruflichen Praxis ist. Man kann Supervision in drei Funktionsbereiche unterscheiden: 1. Supervision in der Aus- und Weiterbildung (Lernen und Kontrolle), 2. Supervision als Hilfe und Orientierung im psychosozialen Handeln (Unterstützung und Lernen), 3. Supervision als Maßnahme gegen Stress und Burnout (Psychohygiene und Prävention).






4. Anwendungsmöglichkeiten



4a) Anwendungsmöglichkeiten anhand mehrerer Szenen aus dem Fallbeispiel

Ich möchte nunmehr das, was ich in meiner Ausbildung zur Sexualpädagogin gelernt habe, anhand mehrerer Szenen reflektieren und entsprechend begründen. Die Antworten des Klienten sind in den Beratungsgesprächen rein hypothetisch. Aber sie zeigen auf, wie ich als Sexualpädagogin intervenieren muss.

1. Szene
Guten Abend. - Schön das ich sie erreiche. - Ich bin froh, dass ich mit einer Frau spreche. „Wie kann ich ihnen helfen? - Ich habe ein Problem. - Wissen Sie, ich bin Priester. - Es ist für mich sehr schwer, bei Ihnen anzurufen. „Warum?” Ich bin ein katholischer Geistlicher. - Ich bin erst vor kurzem ins Ruhrgebiet versetzt worden und ich kann bei meinem Kollegen nicht beichten gehen. „Warum nicht?” - Ich schäme mich. - „Was ist denn passiert?” Ich habe eine Haushälterin. - Sie wissen ja, wie das ist. Ich habe sie von meinem Vorgänger übernommen. - „Nein, ich weiß nicht was Sie meinen”. Sie wissen doch was immer geredet wird. „Sicher wird viel geredet, aber ich möchte, das sie mir genau sagen, um was es geht.” Ich habe sie heimlich beobachtet. „Was möchten Sie mir damit sagen?” Na ja, ich möchte es Ihnen ganz genau erklären was passiert ist, damit Sie sich ein Bild machen können. „Ich muss nicht alles bis ins Detail wissen.” Möchten Sie mir sagen, was ich vermute, dass Sie mir Ihrer Haushälterin Sex hatten?” - Sie verstehen mich nicht. Ich muss Ihnen das ganz genau erzählen. - „Beantworten Sie mir doch bitte meine Frage.” Sie verstehen nicht, was ich sagen will. - „Was erwarten Sie von mir?” Das ich Ihnen alles genau erzähle. „Das möchte ich nicht. Ich kann Ihnen anbieten, dass wir über Ihr Prob-lem sprechen. Ins Detail möchte ich nicht gehen”. - Ich muss mit Ihnen aber über alles sprechen. „Sie haben vor-hin meine Frage nicht beantwortet. Ich vermute, dass Sie mit mir Ihre sexuellen Phantasien ausle-ben möchten. Was denken Sie darüber? Stimmt das?” - Anrufer geht auf die Frage nicht ein. - „Ich möchte mit Ihnen keinen Sex haben. Da sollten Sie besser eine der 0190/Telefonnummer wählen. Die kennen Sie ja bestimmt.” Sie haben überhaupt nicht verstanden, was ich will. - „Doch, das habe ich ganz genau. Auf Wiederhören.”

Analyse zur Szene 1
Bei diesem Klienten hat es sich um einen Sexanrufer gehandelt. Auffallend war das triebhafte, narzisstische, machtübergreifende Verhalten des Klienten. Es ging ihm um Sex. Meine Gegenübertragungsgefühle bei diesem Gespräch wären vielleicht, genau wie im wirklichen Fall, eine verdrehte Haltung und ein flaues Gefühl in der Magengegend gewesen. Ich habe diese Gegenübertragung mit dem Arbeitsmittel der zugewandten Konfrontation genau hinterfragt und mich dann als Berater angemessen abgegrenzt und den Klienten begrenzt. Ich wollte mit ihm kein Sex. Meine Haltung war klar und eindeutig. Ich habe das Gespräch beendet. Ich war Leiterin des Settings.

Szene 2
Guten Abend. - Schön das ich sie erreiche. - Ich bin froh, dass ich mit einer Frau spreche. „Wie kann ich ihnen helfen? - Ich habe ein Problem. - Wissen Sie, ich bin Priester. - Es ist für mich sehr schwer, bei Ihnen anzurufen. „Warum?” Ich bin ein katholischer Geistlicher. - Ich bin erst vor kurzem ins Ruhrgebiet versetzt worden und ich kann bei meinem Kollegen nicht beichten gehen. „Warum nicht?” - Ich schäme mich. - „Was ist denn passiert?” Ich habe eine Haushälterin. - Sie wissen ja, wie das ist. Ich habe sie von meinem Vorgänger übernommen. - „Nein, ich weiß nicht was Sie meinen”. Sie wissen doch, was immer geredet wird. „Sicher wird viel geredet, aber ich möchte, das sie mir genau sagen, um was es geht.” Ich habe sie heimlich beobachtet. „Was möchten Sie mir damit sagen?” Ich bin auch nur ein Mann. - „Sie haben meine Frage nicht beantwortet.” Ich schäme mich. - „Möchten Sie mir sagen, dass Sie mit Ihrer Haushälte-rin Sex hatten?” Ja. - „Was erwarten Sie von mir?” Das Sie mir zuhören. -„Ich verstehe, dass Sie das erleichtert, aber das ist keine Lösung Ihres Problems. Darf ich Sie fragen, warum Sie bei Ihren Kolle-gen nicht beichten möchten. Das würde Sie doch erleichtern.” Ich kann das nicht tun. - „Warum nicht?” Es würde Gerede in der Gemeinde geben und außerdem kenne ich die anderen Kollegen noch nicht so genau. „Aber ihre Kollegen sind doch zum schweigen verpflichtet, wenn Sie beichten gehen. Das ist doch eine Verpflichtung der katholischen Kirche.” Ja, das stimmt, aber trotzdem. - „Wie meinen Sie das?” Geredet wird immer, hinter dem Rücken. Das kennen Sie doch. - „Was ist denn dahingehend Ihre schlimmste Phantasie, was passieren würde.” Schlimmsten Falls würde ich versetzt. - „Sie sind doch noch nicht lange in der neuen Gemeinde. Wäre das ein so großer Ver-lust?” Ja, und dann steht das auch in den Akten. - „Es könnte doch aber auch sein, das Ihre Haus-hälterin mit anderen über diese Situation redet. Meiner Meinung nach haben Sie Ihre Fürsorge-pflicht gegenüber Ihrer Haushälterin verletzt und sind Sie zum beichten verpflichtet. Was denken Sie darüber?” Ja ich weiß, ich kann nicht. - „Könnte es sein, dass Sie mit der Institution Kirche einen Konflikt haben? „Wie geht es Ihnen damit, wenn ich das sage?” Ich weiß nicht, was Sie mir damit sagen wollen. - „Sie dürfen doch als Geistlicher keinen Sex haben. Sexualität gehört meines Erachtens zur Identität des Menschen dazu. Wie jung waren Sie, als Sie Priester wurden?” Ich war 38 Jahre alt. - „Was hat sich gegenüber früher und heute bei Ihnen verändert. Sie haben sich doch für die Kirche und das Zölibat entschieden.” Ja, Sie das stimmt. Es hat sich etwas verändert und es ist lange her, dass mir so etwas passiert ist. Wissen Sie, ich hatte nicht nur Sex mit meiner Haus-hälterin, ich mag Sie. - „Liegt darin Ihr Problem.” Ja. Ich muss mir das wirklich einge-stehen. Und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich machen soll. - An dieser Stelle möchte ich das Gespräch beenden.

Analyse zur Szene 2
Bei der Frage, ob sich der Klient in einem institutionellen Konflikt befindet, hätte der Klient das Gespräch beenden können, wenn der die Frage abgewehrt hätte. Ich hatte ihn nach seinen Werten und Normen sowie seiner Moralvorstellungen befragt. Er hätte sie aggressiv zurückweisen können (Widerstands- und Abspaltungsmechanismen). So hat er die Fragen (Klärung), auch wenn es ihm teilweise unangenehm war, beantwortet. Auch seine Haltung gegenüber dem Zölibat und den daraus resultierenden Problemen seiner Sexualität konnte mit Hilfe der Konfrontation und Interpretation für mich ein Bild von seiner Identität und Haltung gegenüber der Kirche gegeben werden. Der Klient ist in einer schweren Identitätskrise. Die sexuelle Handlung mit der Haushälterin war als Eröffnungsthema vorgeschoben gewesen, weil er das „Verliebtsein” in seine Haushälterin abgespaltet hat (Schamkonflikt, so etwas darf einem Priester nicht passieren). In dem Gespräch war es deshalb wichtig, ihn in seiner Würde nicht zu verletzen und ihn nicht zu beschämen. Meine Gegenübertragung hätten vielleicht in der ersten Hälfte des Gespräches schwere Beine und/oder ein taubes Gefühl im Kopf, sein können. In der zweiten Hälfte Herzklopfen und/oder einen Klos im Hals. Der Klient wird sich im Verlauf des Gespräches weiter mit seiner Situation auseinandersetzen (sein Leben ist an einem Wendepunkt und muss neu bewertet werden), dabei werde ich seine Äußerungen weiter interpretieren und ihn entsprechend konfrontieren. Ich werde dem Klienten dabei helfen, seine Situation von außen zu betrachten und ihm dabei ein Weggefährte sein. Ich habe den Klienten ernst genommen, meine Haltung war klar. Meine Moralvorstellungen müssen nicht die gleichen wie die des Klienten sein. Eine Entscheidung, wie es weitergehen muss, kann ich ihm nicht abnehmen. Er muss sie allein für sich treffen.



4b) Warum ist die zugewandte Konfrontation so wichtig?

Die aufgezeigte Analyse der zugewandten Konfrontation in der Beratungsarbeit als Sexualpädagogin zeigt ganz deutlich, das alle hier detailliert beschriebenen Punkte zu einer Einheit gehören und in sich nur als Ganzes funktionieren können. Ich muss alle Informationen, so weit wichtig, wissen und analysieren, damit ich dem Klienten helfen kann. Ich muss ihn konfrontieren, denn ansonsten wäre eine Änderung seiner Verhaltensweisen oder eine Veränderung seiner Identität nicht möglich. Er muss sich an mir abarbeiten. Nur über meine dem Klienten entgegengebrachte Empathie und Ehrlichkeit ist dies möglich. Bei der zugewandten Konfrontation werden mit Hilfe der Übertragung/Gegenübertragung alle dem Berater offen liegenden Fragen beantwortet. Es ist aber auch möglich, dass der Berater anhand der zugewandten Konfrontation die Grenzen beim Klienten nicht überschreiten darf (Widerstand, Abwehrmechanismen mit extremer Angst vor Verlust seiner Identität verbunden). Dies ist der Fall, wenn beim Klienten dann zu erwarten wäre, dass ein Zusammenbruch seines Ich (sein Selbstschutz) hinter dem er sich schützen kann, zu erwarten wäre. Dies ist dann mit sehr viel Fingerspitzengefühl, mit Respekt an den Grenzen des Klienten, langsam und behutsam mit der zugewandten Konfrontation zu erarbeiteten. Es ist auch in diesem Zusammenhang nicht wichtig, ob die Geschichte des Klienten stimmt oder nicht. Es ist dem Klienten dann nur aus dieser Sichtweise möglich, über sich selbst zu sprechen. Ich hoffe, ich konnte es mit den beiden Szenen verdeutlichen, was die zugewandte Konfrontation bewirken kann.



4c) Was bedeutet das für mich so ein Gespräch zu führen

Sexualität und die damit verbundene Aggressivität (Gewalt) ist immer bewusst oder unbewusst in „allen” unseren Interaktionen vorhanden und präsent. Das ist ein sehr wichtiger Punkt in meiner Ausbildung gewesen. Sexualität bedeutet, mit einer anderen Person in Beziehung zu treten. Sexualität ist schambesetzt. Sie ist etwas Besonderes, sensibles und schützenswertes zwischen zwei Menschen. Sie ist in vielen Dingen des alltäglichen Lebens präsent. Da sind z. B. aber auch die negative Seite zu nennen, wie verschiedene Konfliktbereiche z. B. Mobbingstrukturen, Nachbarschaftsstreitigkeiten, Rivalität unter Jugendlichen usw., wo man das Thema Sexualität und die darin eingebundene Gewalt, gar nicht vermuten würde. Es ist immer die Gefahr des Machtmissbrauches gegeben, in der sich der Berater, oder ich den Klienten,  schützen muss. Es ist deshalb wichtig, sich dessen in jedem Gespräch bewusst zu sein. Dies gilt besonders für die Berater, die anhand des Mediums „Telefon” Beratungsarbeit leisten. Sie können „nur” auf dieser Ebene mit dem Klienten in Kontakt kommen und haben kein „sichtbares” Gegenüber. Daher ist auch für sie die zugewandte Konfrontation von besonderem Wert.






5. Schlusswort

Ich habe in meiner Ausbildung zur Sexualpädagogin sehr viel über mich gelernt und das war nicht immer einfach, weil ich mich nicht „getraut” hatte, etwas von mir preiszugeben. Es war für mich sehr wichtig, mich gut und angemessen abgrenzen und begrenzen zu können. Es war eine Herausforderung, in meiner Abschlussarbeit über meine Fehler in meinem Fallbeispiel zu schreiben. Ein wichtiger Grund war auch aufzuzeigen, was ich gelernt habe, damit auch andere Berater nicht die gleichen Fehler machen wie ich. Das Feedback von Frau Gerlach und meiner Ausbildungsgruppe hat mich beruflich und privat sehr viel weiter gebracht und hat mich klarer werden lassen. Mein Anliegen mit dieser Arbeit war bewusst zu machen, dass Missbrauch „auch” in psychosozialen Arbeitsfeldern „durch Klienten” entstehen können. Noch heute sind Frauen gegenüber Männern immer noch überwiegend in sozialen Berufen zu finden. Männer sind meist nur in Führungspositionen vertreten, wo Frauen keinen oder nur erschwert Zugang finden. Die traditionellen Geschlechtsrollendifferenzierung entspricht: den Männern die Sacharbeit in Beruf und Gesellschaft, den Frauen die Gefühlsarbeit in Familie und Ehe. Die Dreiteiligkeit der Weiblichkeit in „Heilige”, „Hure” und „Mutter” beherrscht immer noch unseren Alltag. Die positiven Zeichen der Gleichberechtigung unserer Gesellschaft dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um eine Tendenz zur Ausmerzung von Unterschieden handelt. Die Polarität der Geschlechter ist im Verschwinden begriffen und damit auch die erotische Liebe, die auf dieser Polarität beruht. „Männer” und „Frauen” werden gleich und sind nicht mehr gleichberechtigt als entgegengesetzte Pole. Frauen müssen lernen, sich unabhängig von den Männern zu definieren, um dann wieder in Beziehung mit Männern und Frauen treten zu können. Eine Frau, die ihre eigene Sexualität unabhängig vom Wertesystem des Mannes definieren kann, ist eher in der Lage, ihre Söhne und Töchter zu eigenständigen verantwortungsvollen Menschen zu erziehen. Der erste Schritt ist, sich klarzumachen, dass Lieben eine Kunst, genau wie das Leben eine Kunst ist. Wichtig ist es herauszufinden, wo die Ursachen des Scheiterns liegen und wie wir etwas verändern können. Und auch wenn wir Rückschläge erleiden, die Liebe muss immer siegen.






6. Literaturliste

Oliver König, Macht in Gruppen, Leben lernen 106, Pfeifer Verlag
Gruppendynamische Prozesse und Interventionen

Otto Kernberg, Schwere Persönlichkeitsstörungen, Klett-Cotta Verlag
Theorie- Diagnose und Behandlungsstrategie

Heinrich Racker, Übertragung und Gegenübertragung, Ernst Reinhardt Verlag
Studien zur psychoanalytischen Technik

Übergriffe und Machtmissbrauch in psychosozialen Arbeitsfeldern, Forum 27
Phänomene - Strukturen - Hintergründe

Erich Fromm, Econ Verlag
Die Kunst des Liebens

Gesamtkonzept Wildwasser Dortmund

Ch. Michel, F. Novak, Herder spektrum Verlag
Kleines psychologisches Wörterbuch

Wahrig Fremdwörterlexikon, Bertelsmann
 

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